Pressestimmen  
 

ERFINDERISCHE KLANGWERKER SIND DA
NEUE-MUSIK: Ungewöhnliche Töne und Texte in der Mannheimer Kunsthalle

Stefan Koch, Mannheimer Morgen / Nr. 279 - Donnerstag, 2. Dezember 1999

Sie haben mittlerweile eine Tradition in Mannheim, die alljährlichen Musiktage der Klangwerkstatt mit ihrem Spiritus Rector Hans-Karsten Raecke. Zum ersten Mal fand das Mini-Festival, unterstützt vom Musikrat, dem Land und der Stadt in der Kunsthalle statt, in das denn auch erfreulich viele Interessierte gekommen waren, um sich von Raecke und einigen eingeladenen „Klangwerkern" auf musikalische Grenzgänge zu begeben. Auf der Konfrontation zwischen Klang und Szene lag dieses Mal der Schwerpunkt. Dass die angekündigte Uraufführung von Manfred Forschners „Kunstfinale", einem Projekt mit Schülern aus Bad Sachsa, für das Raecke die Musik komponiert hatte, wegen „Unfertigkeit" abgesetzt worden war, warf allerdings nicht gerade den Glanz souveräner Professionalität auf das Festival. Wie überhaupt die Qualität der Beiträge ziemlich auseinander klaffte. Während etwa Siegfried Wekenmann mit heiligem Ernst Glöckchen schlug, harmlos einen Metalleimer als Resonanzkörper entdeckte und kurz angestrichene Saiten zirpen ließ, um den Klang an sich zu entdecken, konnten die „Rück-Koppelungen" von Hans-Karsten Raecke selbst weit mehr überzeugen: ein kaleidoskopartiges Patchwork aus Sentenzen philosophischer, soziologischer und pädagogischer Provenienz für „sieben sprechende, singende, spielende und werktätige Darsteller" in der Tradition des musikalischen Theaters, das in seinem bizarren Witz und manchen frappanten Pointen sehr überzeugt. Raeckes Vermögen, aus allem, was klingt, musikalischen Sinn entstehen zu lassen, verzückte auch hier: Baumstamm und Bohrmaschine, verquere Blasinstrumente bis hin zu einer Nasenloch-Flöte, eine Papierschere, Orgelpfeifen und Luftballons, dazu Sprech- und Singlaute sowie einen gehörigen Schuss Zufall im Zusammenwirken der sieben Klang – Darsteller- ein dadaistisch hintergründiges Vergnügen, dem man gerne lauschte. Lieber jedenfalls als Mauricio Kagels „Tango alemn", das von dem Quartett Dorle Ferber (Sprache, Gesang und Geige), Hermann Keller (Masterkeyboard), Hans-Karsten Raecke (Akkordeon) und Eva Lebherz-Valentin (Keyboard) mit eher behelfsmäßiger Mühe exekutiert wurde. Und auch das „Leichte Metall“ von Hermann Keller selbst entpuppte sich als recht harmlose rhythmische Etüde für zwei High-Hats, von Fritz Rating mit etwas schwungloser Diskretion ausgeführt. Es ist halt nicht leicht, zwischen der Tradition der in die Jahre gekommenen Avantgarde und dem eigenen Anspruch neue Grenzgänge auszuloten. Einen sicheren Ansatzpunkt fand hier das Trio „No Frame" mit seiner elektronisch-szenischen Chaos-Sinfonie „Feed the spiral back", das als Ausgangspunkt eine zusammengeschnittene Collage medialen Sprachmülls nimmt, aus dem heraus Ordnungen entstehen: Ein Darsteller streut eine Sandspirale auf den Boden, eine Tänzerin nutzt sie als Spur, das Ganze mündet in ein Mundharmonika-Solo - der musikalische Ton und die Bewegung des Körpers als Flucht aus dem Ohren-Wirrwarr der Geräusche: ein hermetisch-verrätseltes Projekt fürwahr, aber Anregung zum Nachdenken gab's. Daneben auch ein „richtiges" Stück Musik. Hans-Karsten Raecke griff in seinen „Elementen" zum umgebauten Pfeifenkopf und in „Blau" zu seiner sattsam bekannten Blas-Metall-Dosen-Harfe; und Michael Valentins Grenzüberschreitungen" suchen die Spuren eines Bach-Chorals inmitten eines sich in barocker Chromatik windenden Klavierparts (Marie-Theres Justus) nebst live elektronisch vervielfachter Sopran-Vokalisen und eines lyrischen Textes von Matthias Roth. Eine zwischen Meditation, Katastrophe und Beschwörung stehende Studie von anregendem Reiz. Als Forum fürs Experiment hat die Klangwerkstatt auch dieses Mal wieder ihren Ruf verteidigt, auch wenn nicht alle Beiträge gleich hochwertig waren. Doch das gehört dazu. Als Beitrag zum Mannheimer Musikleben, in dem das Neue es ohnehin schon schwer genug hat, ist Hans-Karsten Raeckes ambitioniertes Projekt jedoch auch weiterhin aller Unterstützung wert.