Pressestimmen  
 

Klangobjekte zum Anfassen
Jubiläum der Mannheimer Klangwerkstatt-Musiktage in der Kunsthalle

Uwe Engel, Die Rheinpfalz / Nr. 235 - Mittwoch, 10. Oktober 2001.

Es gibt Festivals, die auf eine längere Geschichte zurückblicken können. Dennoch ist das zehnjährige Bestehen der Mannheimer Klangwerkstatt-Musiktage etwas Besonderes. Neue-Musik-Festivals, die mit öffentlichen Mitteln nur relativ bescheiden und nicht mit den üppigen Etats von Rundfunksendern gefördert werden, sind selten. Klangwerkstatt-Chef und Musiktageleiter Hans-Karsten Raecke und seine Mitstreiter können stolz sein. Die Klangwerkstatt-Musiktage, so Kulturbürgermeister Peter Kurz in seiner Eröffnungsansprache zum Jubiläum, seien Tradition geworden, aber nicht im traditionellen Bereich. In der Tat, das Konzept hat sich bewährt, eine Mischung aus „klassischer" Neuer Musik, avanciertem Jazz und Rock, elektronischen und multimedialen Werken unter Verwendung von Computern und neuen, ungewöhnlichen Instrumenten zu präsentieren. Es ist auch die optische Komponente, der Brückenschlag zwischen Klanglichem und Bildnerischem, der das Festival reizvoll macht. Die selbst gebauten Instrumente, namentlich die Klangskulpturen von Martin Spühler, fügten sich bestens zwischen die Plastiken im Heinrich-Vetter-Forum der Kunsthalle ein. Und die Klangobjekte dürfen auch angefaßt werden. In den Pausen probierte man staunend diese oder jene Klangskulptur, staunte über deren Form und die hervorgebrachten Töne, sprach mit den Künstlern.
Komposition und Improvisation
Die diesjährigen Musiktage umfaßten fünf Konzerte neben dem schon zur festen Einrichtung gewordenen „Open-Air-Kanon für Instrumente und Menschen im Luisenpark". Die Konzerte standen unter dem Motto „Klavier-Keyboard- Klangskulpturen". Zum großen Teil fest komponierte Musik für Klavier oder gesampelte Masterkeyboards wechselte sich ab mit mehr Improvisatorischem für neue Instrumente. Christoph Wünschs Komposition „Spaces" für Klavier und Live-Elektronik wo sich der Pianist selbst zu vorher gesampelten Klavierklängen begleitet, entfaltet ein dichtmaschiges Klangnetz, das mit seiner Polyphonie an die Musik von Conlon Nancarow erinnert. Für einen traditionellen Konzertflügel, aber unter reichlichem Gebrauch des Spielens auf den Saiten im Innern des Instruments, schrieb Hermann Keller seine „Keimblätter", Schumann-Metamorphosen zwischen zartem Punktualismus und impetuosen New-Jazz-artigen Klängen. Hans-Karsten Raecke führte mit der „Musik r" seinen „Bild-Klang-Generator" vor. Auf einer Messingscheibe sind Kontaktfelder angeordnet und mit einem Computer verbunden, so daß gesampelte Klänge auf den Feldern mit Kontaktstäben abgerufen werden können. Mittels gelochter Schablonen kann Raecke so etwa Sternbild-Konstellationen zum Klingen bringen. Den Engländer Hugh Davies kann man als den Miniaturisten unter den Klangobjekte-Bauern bezeichnen. Ein taschenbuchgroßes Kästchen,„Porcupine"-„Stachelschwein" genannt, genügt ihm, in einem sehr fachgerechten Spiel mit Rückkopplungsefffekten allerhand pfeifende, knarrende, rauschende Klänge hervorzubringen.
Schlagzeug-Legende Mani Neumeier
Reizvoll anzuhören und anzusehen sind die Klangobjekte des Schweizers Martin Spühler. Da gibt es etwa das „Akkadon", eine Art alter Grammophontrichter, auf den und um den herum eine Menge Saiten, Federn, Metallzungen montiert sind, die mit Händen, Schlägen und Bogen gespielt werden. Spühlers Landsmann Martin Sigrist hat für dieses Instrument seine Komposition „Amanatagga" geschrieben, in der der Interpret, hier war es Olaf Tzchoppe, zusätzlich noch akklamierend eine Geschichte in altbabylonischer Sprache erzählt. Hans-Karsten Raecke präsentierte seine eigenen selbst gebauten Blasinstrumente, das aus Krümmungsteilen von Abflussrohren zusammengesetzte Gummiphon, das Sopran-Suraphon und das Zug-Metalluphon mit Saxophon-Mundstück und Messingrohr-Posaunenzug in seiner Komposition „Wassermusik" und einer Duo-Improvisation mit Schlagzeug-Legende Mani Neumeier. Auch hier kamen wieder, von ihm selbst gespielt, Klangskulpturen von Martin Spühler zum Einsatz: die „KlangSeerosenSchale", eine gongähnlich klingende Schale mit pflanzenähnlichen Aufsätzen, und die „Klangsonne", wo auf einer großen Bronzescheibe wiederum alle möglichen Federn und Zungen montiert sind. Wie die weiteren Konzerte auch endete der Eröffnungsabend mit einer Improvisation aller Interpreten des Abends, wobei Ex-„GuruGuru"-Drummer Mani Neumeier dem Ganzen Rückgrat und rhythmischen Drive gab.
Raeckes „Raster"-Zyklus
Hauptwerk des Samstag-Konzerts war Raeckes groß angelegter, über viele Jahre hinweg entstandener „Raster"-Zyklus. Die neun Teile, ursprünglich für präpariertes Klavier konzipiert, hat Raecke für Masterkeyboards gesampelt. Bezüge zur Minimal Music sind evident, natürlich auch zu John Cage, dem Erfinder des Prepared Piano, und zum Ahnherren aller Minimal Music, zu Erik Satie: sanfte meditative Klänge zumeist, teils repetitiv, teils längere Formeln immer aufs Neue leicht leicht abwandelnd, anders akzentuiert und harmonisiert wiederholt. Einige Teile, die Raster 2 und 4 und das langsame, ironisch bewußt als quasi einschläfernde „Döösmusik" konzipierte Raster 8, sind solistisch besetzt, bei anderen spielen bis zu vier Pianisten und zwei Schlagspieler. Im Mittelpunkt des Zyklus steht Raster 6, das aus drei minimalistisch geprägten Stil-Hommagen an Bach, Schumann und Cage besteht, die dann als Raster 7 harmonisch und sonor zusammen erklingen. Den Abschluß bildet Raster 9, in dem sich gleich sechs Pianisten an zwei Masterkeyboards versammeln und eine Stimme Brechts Gedicht „Von der Freundlichkeit der Welt" rezitiert. Die Pianisten waren Thorsten Lindner, der die meisten Solostücke spielte, sowie Christoph Wünsch, Karin Neubauer, Hermann Keller und Siegfried Wekenmann, schließlich Hans-Karsten Raecke selbst. Als Schlagwerker agierten Mathias Bozo und Andreas Zeuch, den Text trug mit emphatischer Stimme Dorle Ferber vor.