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EIN ELEKTRONISCHES WINTERMÄRCHEN
Hans-Karsten Raeckes Klangwerkstatt-Musiktage in der Alten Feuerwache in Mannheim
Uwe Engel, Die Rheinpfalz / Nr. 278, Kultur Regional - Mittwoch, 30. November 2005.
An drei Abenden fanden in der Alten Feuerwache in Mannheim wieder die Klangwerkstatt-Musiktage statt, das von dem Komponisten, Musiker und Instrumentenerfinder Hans-Karsten Raecke initierte Festival mit Neuer Musik. Vor zwei Jahren hatte Raecke den ersten Teil von Heines Gedichtzyklus „Deutschland, ein Wintermärchen" vertont. Nun hat er auch die Kapitel 15 bis 27 in Musik gesetzt und den „musikdramatischen Zyklus für Stimme und klangerweiterten Flügel" erstmals komplett aufgeführt.
Heines große Verssatire liegt Raecke am Herzen. Er kann sich gut in den Dichter einfühlen. Heine schrieb seine Verse im Pariser Exil, leidend unter der Verfemung und den politischen Zuständen in seiner Heimat. Raecke litt als unangepasster Künstler unter den Repressionen in der DDR und ging 1980 auch ins Exil, in die Bundesrepublik. Seine Vertonung des „Wintermärchens" ist eine große künstlerische Leistung, in kompositorischer wie interpretatorischer Hinsicht. Denn Raecke agiert dabei nicht nur als Komponist, sondern auch als Sänger, Rezitator, Pianist und Darsteller, und das hieß, zwei Stunden lang Text und Klavierstimme zu meistern.
Raecke bedient sich bei seiner musikalischen Umsetzung aller überlieferter Formen abendländischer Musik. Zuweilen rezitiert er die Verse, von allusionsreichen Klavierklängen begleitet, dann wieder singt er, lässt den Songstil Weills anklingen wie das romantische Kunstlied, er parodiert Volkslieder und Märsche, benutzt die Form des kabarettistischen Chansons. Raecke agiert auch als Darsteller, marschiert bei einem Spottlied aufs Militär, begibt sich bei einem Schlaflied mit Kopfkissen ins Innere des Flügels. Auf dem mit allerhand Schrauben und anderen Gegenständen präparierten Piano erzeugt Raecke auch Trommelklänge, Donnern, Pfeifen und Heulen und ruft die Klänge einer mittelalterlichen Drehleier hervor, zu denen er im Tonfall eines Troubadours singt. Die Texte werden schlüssig umgesetzt und noch durch Einschübe von eigenen Strophen im Heine-Ton mit aktuellen Bezügen erweitert. Das Ganze ist eine ebenso nachdenkliche wie unterhaltsame Angelegenheit.
Das Abschlusskonzert stand unter dem Motto „Lyrik und Musik" - in vier Blöcken wurde das Verhältnis von Wort und Musik ausgelotet. Auf seiner „Blas-Metall-Dosen-Harfe" erzeugte Raecke faszinierende elektronisch modulierte Klänge. Sie passten sehr gut zur winterlichen Metaphorik des Gedichts „1. Januar 1924" von Ossip Mandelstam, das dessen Übersetzer Ralph Dutli rezitierte, wie auch zu den von Markus Löchel vorgetragenen Texten aus dem Tao Te King in Raeckes „Transformationen".
Die Klangwekstatt kommt aber auch ganz ohne Elektronik aus: Mustergültig setzten die vorzügliche Sopranistin Natalia Atamanchuk und der virtuose Gitarrist Oliver Alt eine weitere Raecke-Komposition, Tilo Medeks Vertonung von Paul Celans hermetischer „Mohn und Gedächtnis" - Lyrik und Thomas Kurzes Edda-Miniaturen um. Der Bariton Martin Hummel trug, begleitet von Christoph Wünsch (Klavier) und Bernd Kremling (Schlagzeug), nebst einem Stück von Berthold Hummel den markanten „Anachronistischen Zug" von Paul Dessau nach Brechts sarkastischem Text vor.
Rockgitarrist Hans Reffert fing auf seiner Fender-Double-Neck-Gitarre mit fast bläserartigen Klängen die Atmosphäre der Großstadt-Lyrik von Heym und Trakl ein, mit der „Übertragung" von Gedichten auf den Klavierklang beschäftigten sich Christoph Wünsch mit „Clavier Lyrique" für Tasteninstrument und Live- Elektronik und Siegfried Wekenmann mit „Barcarolle", einer „klavieristischen Dichtung" auf ein eigenes Gedicht. Negativ aufgefallen sind da einzig die wummernden Bässe aus der Disco im Erdgeschoß der Feuerwache.
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