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„Dionysos-Dithyramben“ (Aufführung : Mittwoch, 1.Oktober 03) Loblieder des Rausches und der Ekstase von Friedrich Nietzsche in einer musikdramatischen Interpretation von Anton Prestele
Indem ich der Menscheit eine unbegrenzte Wohltat erweisen will, gebe ich ihr meine Dithyramben. Ich lege sie in die Hände des Dichters der Isoline, des größten und ersten Satyr, der heute lebt - und nicht nur heute ... Dionysos
Mit diesen Worten beginnen Nietzsches „Dionysos-Dithyramben“, dessen Manuskript er im Dezember 1888, also kurz vor seinem geistigen Zusammenbruch, in Reinschrift fertig stellte.
Die meisten dieser Gedichte aber stammen bereits aus der Zeit, als Nietzsche noch an seinem „Zarathustra“ arbeitete. Sie atmen den Geist dieses genialen Werkes und gehören zum Schönsten, was Nietsche literarisch hinterlassen hat.
Und so wie er in „Ecce homo“ über seinen „Zarathustra“ schrieb. „Man darf vielleicht den ganzen Zarathustra unter die Musik rechnen“, so sind auch diese Gedichte wie mit Worten komponierte, kraftvolle, poetische Musik.
Anton Prestele bringt in seiner ihm unnachahmlichen Art die Sprachemelodien dieser Wortkompompositionen zum ersten Mal auch auf der Bühne zum Klingen. In Verbindung mit lautmalerischer Musik werden die Gedanken Nietzsches von den zartesten Regungen bis hin zu ihren ekstatischen Ausbrüchen in einem großen musikdramaturgischen Bogen hörbar.
Programmfolge Prolog 1. Nur Narr! Nur Dichter 2. Die Wüste wächst: weh dem, der Wüsten birgt 3. Letzter Wille 4. Zwischen Raubvöglen 5. Das Feuerzeichen 6. Die Sonne sinkt
- Pause -
7. Klage der Ariadne 8. Ruhm und Ewigkeit 9. Von der Armmut des Reichsten
Friedrich Nietzsche ( 1844 - 1900 ) Von den Größen der deutschen Geistesgeschichte war und ist Friedrich Nietzsche bis heute der unheimlichste. Alles an ihm entzieht sich jeglicher Definition, durch die man über ihn verfügen könnte. Er war: sprachgewaltiger Philologe und Philosoph, Baseler Professor, Diagnostiker und Kritiker der bestehenden Welt, Zertrümmerer der europäischen Philosophie und Kultur, Dichterphilosoph, Antichrist, Nihilist, Immoralist ... vom Wahnsinn Besessener ... „Nietzsche war das größte Deutsche Sprachgenie seit Luther und der blendenste literarische Erzähler seit Goethe.“ ( Gottfried Benn )
Meine Seele, unersättlich mit ihrer Zunge, an alle guten und schlimmen Dinge hat sie schon geleckt, in jede Tiefe tauchte sie hinab. Aber immer gleich dem Korke, immer schwimmt sie wieder oben auf, sie gaukelt wie Öl über braune Meere: dieser Seele halber heisst man mich den Glücklichen. ( aus den „Dionysos-Dithyramben“ ) Anton Prestele lebt als freischaffender Komponist, Regisseur und Interpret musikalisch-literarischer Solo-Programme in München. Bekannt geworden ist Prestelle mit seiner Wirtshausoper Heimatlos ( Frankfurter Allgemeine Zeitung: „In nicht wenigen Momenten wirklich Neue Musik“ ), die nach der Uraufführung beim Steirischen Herbst `85 in Graz an mehr als 30 Bühnen im gesamten deutschsprachigen Raum nachgespielt wurde. Daneben macht sich Anton Prestele mit eigenwilligen szenisch-musikalischen Soloabenden von Friedrich Nietzsche bis Hans Magnus Enzensberger, sowie einer Ein-Mann-Sprech-Oper nach Texten von Norbert C. Kaiser einen Namen.
Hermann Keller Zu: „Mehr als 4´33´´ tacet“ (Aufführung : Donnerstag, 2. Oktober 03) Kurze Zeit nach dem 11. September 2001 hatte ich einen anonymen Text in die Hand bekommen, der die Ereignisse dieses Tages mit anderen politischen Katastrophen der letzten Jahrzehnte in Verbindung brachte. Ich bearbeitetet den Text so, daß er wiederu zu dem Stück von John Cage in Beziehung gesetzt wurde, das 4 Minuten und 33 Sekunden Schweigen vorschreibt. Mein Stück huldigt aber nicht Cage, sondern eher Berthold Brecht, der in seinem Gedicht An die Nachgeborenen schrieb: „Was sind das für Zeiten, wo ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist, weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!“
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So nah - so fern Randgeschriebene Anmerkungen zu Hans-Karsten Raeckes Vertonung "Deutschland - Ein Wintermärchen" "Deutschland ist von neuem eingeschlafen [...] , seine Träume sind nicht mehr rosenfarbig." Wer hätte solch ein Urteil besser fällen können als der Kenner, dem das Bekannte fremd geworden ist; der Sprachartist, der den Fallstricken der Grammatik misstraut? Heine, der Exilant, der mit dem filigran-"Pariser" Blick den einverleibt und abgestoßenen Ursprung nach Jahren erstmals wieder erblickt, zerschneidet mit rasiermesserscharfen Versen jegliche Illusion eines preußischen Heimatwohlgefühls. Und doch: "Von künftigen Aufenthalten in Deutschland verspreche ich mir viel poetische Früchte [...]" liest man in einem Brief, geschrieben zur gleichen Zeit und vom gleichen Autor. "Deutschland - Ein Wintermärchen" - ein deutsches Phänomen und das explizit nicht nur aufgrund seines Inhalts? Sicherlich, da gibt es die Joyce'schen Irland-Hass-Manien und die Bernhard'schen Österreich-Zertrümmerungs-Staccati und doch ... Was meint die Statistik? ... Lassen wir das! Und wieder zurück zum Thema: die Heimat so nah, so fern? Hans-Karsten Raecke hat es sich zur Aufgabe gemacht, das gesamte "Wintermärchen" zu vertonen. Warum? Die Nähe? Heine, dieser menschlichste unter den Zynikern - Raecke ist ihm nach eigenem bekunden sehr "nahe". Die Ferne? Heine, dieser mit eiskalter Ironie befähigte Schreiber ist selbst niemals kalt; der berühmte Wahrheitsspiegel, den er den Menschen vorhält, er selbst wird von ihm durchdrungen, er krankt an ihm: "Eine Vorliebe für Deutschland grassiert in meinem Herzen, sie ist unheilbar." heißt es in besagtem Brief weiter, und Raecke sieht sich vom gleichen Virus der unheimlich nahen Ferne befallen. So schreiben beide mit dem notwendigen Abstand auf die eigene Substanz: der eine in Worten, der andere in Tönen. Erst wenn man vom Lachen ihrer Kunst geschüttelt wird, versteht man, dass es beide wirklich ernst meinen. Was hat es nun mit dieser Vertonung des "Wintermärchens" auf sich? So wie Schubert-Lieder nun einmal in Tom Waits'scher Manier in die verrauchte Kneipe und nicht in den Kammermusiksaal gehören, holt Raecke sein "Wintermärchen" - es handelt sich um die Erstvertonung dieser Dichtung - zurück aus dem verstaubten Bücherregal der "Klassiker" auf den Boden der Brisanz und Ironie, auf dem sie sich auch tatsächlich bewegt. So ist es zunächst einmal nicht der verzaubernde Gesang einer Diseuse, sondern Raeckes eigene so durchaus angenehme Stimme, die dem Hör- und Seherlebnis den adäquaten Rahmen verleiht - hier will niemand etwas, und will doch so viel. Allein der Sprachduktus des Heine-Raecke-Gespanns gestaltet sich schon äußerst melodiös, ohne dabei auch nur den Anflug von prätentiöser Verführung zu propagieren. Dass die Wahl bei der Vertonung auf diese Art Komposition und diese Instrumentierung gefallen ist ... Verzeihen sie: Aber hier gab es keine wirkliche Wahlmöglichkeit! Raecke spricht von der Unmöglichkeit, diesen Text beispielsweise in dodekaphonische Tonbewegungen zu kleiden. Es gibt keine andere als die gewählte Möglichkeit der Vertonung dieser Dichtung, sagt Raecke, und wenn man das äußerst suggestive Hörergebnis kennt, kann man ihm nur beipflichten. Die 12 Sektionen seines klangerweiterten Flügels erlauben einen virtuosen Zugang zu jener Differenz der entfernten Nähe, die sie dann berührt, ohne sie zu vernebeln. Das Spektrum der Klänge reicht so von balinesischer Gamelan-Musik, über Tempelblöcke und Kirchenglocken, zum Leierkasten und wieder zurück zum Klavier. Da gibt es Passagen, die sich im Gewande farbenprächtigster Filmmusik zeigen, aber auch solche, die in schlichtem Schwarz/Weiß die Entfernung zum Hörer wieder bewusst vergrößern. Weite Teile abendländischer Musikkultur ziehen an einem vorbei: Arien, Rezitative, Märsche, Thema mit Variationen, durchkomponierte und kabarettistische Lieder, Songs, etc. Der Vortragende wird zum Akteur und bespielt sein Instrument mit Gartengeräten und Staubwedeln. Er tanzt und marschiert und entfernt sich von seinem Material immer weiter, je näher er sich auf dieses zubewegt. Als Hörer und Zuschauer folgt man dieser Bewegung - nur in umgekehrter Richtung. tk
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